Spirituelle Psychotherapie
Der moderne Mensch hat zwar in vieler Hinsicht große Fortschritte gemacht, aber bezüglich der Befreiung seines Denkens befindet er sich noch am Anfang. Die neuesten Forschungsergebnisse der Hirnphysiologie verstärken die von der Psychologie vertretene Ansicht, dass es keinen freien Willen und somit kein freies Denken gibt.
Tatsächlich erlebe ich in meiner therapeutischen Tätigkeit bei einem Großteil der Menschen eine Unfreiheit im Denken und Handeln.
Diese Unfreiheit resultiert aus dem Festhalten an gewohnten, in der Kindheit erlernten Mustern und ist damit ein Verzicht und keine Unmöglichkeit. Von Eltern und anderen Bezugspersonen übernommene Glaubenssätze, Verbote, Vorschriften und andere Paradigmen bestimmen in hohem Maße die Denk – und Lebensprozesse. Oft handelt es sich um eklatante Irrtümer, die durch die Gewohnheitsbildung als Wahrheit gelten.
Selbst die als unwahr und unsinnig erkannten Vorschriften wirken durch die Macht der Gewohnheit und verdrängen den eigenen freien Willen. Die traditionelle Haltung der Vorfahren wirkt wie ein Zwang, verhindert die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und gibt einen festgelegten, starren Lebensplan vor.
Aus der Vorgabe „aus dir wird sowieso nichts“ resultiert das Scheitern in vielen Lebensbereichen. Die Ereignisse scheinen oft wie von Außen bewirkt und als ein unabänderliches Schicksal. Bei genauerer Untersuchung werden die tieferen Zusammenhänge deutlich.
Die „klassische“ Psychotherapie beschäftigt sich mit den innerseelischen Abläufen und mit dem „Ich“ als Teil der Seele. Da es dieser Anschauung gemäß keine frei wirksame Instanz im Menschen gibt, ist er dazu verdammt zu reagieren und kann sich lediglich „umprogrammieren“, also die alte Konditionierung durch eine neue verdrängen, die möglichst mehr Lustgewinn und Wohlbefinden bewirkt und sozial akzeptierter ist.
Bert Hellinger, durch den das sog. „Familienstellen“ populär geworden ist, vertritt ebenfalls die Überzeugung, das menschliche Ich sei eine Illusion. Dabei beruft er sich auf die Religion der Naturvölker, die buddhistische Weltanschauung und die philosophische Schule der Vorsokratiker.
Es gelte, sich mit „dem abzufinden, was ist“, die Ahnen zu ehren , um von ihnen Kraft zu bekommen und sich ganz einer „großen Seele“ anzuvertrauen. Wesentlich erscheint es ihm, „die Ordnung der Liebe“ einzuhalten, womit er meint, dass der Nachfolgende sich vor dem jeweils Älteren ehrfürchtig verneigt. Auch die Individualität der menschlichen Seele ist für ihn eine Illusion, lediglich die „große Seele“, die er mit Gott gleichsetzt, existiert und in dieser gilt es, sich aufzulösen und so seine Erfüllung zu finden. Nur in Kontakt mit der Gruppenseele der Familie oder der Sippe komme der Mensch zur Ruhe, zur Kraft und zur Liebe.
Der von mir vertretene therapeutische Ansatz basiert im Gegensatz dazu auf der Überzeugung, dass jeder Mensch einen ewigen geistigen Wesenskern, das „Ich“ oder „Selbst“, besitzt und er dadurch grundsätzlich zur Freiheit veranlagt ist. Dieser „Menschengeist“ ist Teil einer umfassenden geistigen Umwelt, die bevölkert ist von bereits verstorbenen Menschen und höheren geistigen Wesen (z.B. Engeln), zu denen eine (wenn auch unbewusste) ständige Verbindung und Beziehung besteht.
Das Ziel des therapeutischen Prozesses ist somit die Befreiung des „Ich“ von seinen Einschränkungen, welche die Entwicklung zu einem selbst bestimmten Individuum verhindert hat.
Die Bezeichnung „Familienstellen“ ist so sehr mit Bert Hellinger assoziiert, dass es mir sinnvoll erschien, meiner Arbeit einen eigenen Namen zu geben.
Der Begriff „Systemische Impulstherapie“ (SIT) umschreibt die von mir praktizierte Arbeit, die ich aufgrund ihrer Vielseitigkeit als Beratungskonzept und auf therapeutischer Ebene einsetze.
Im Folgenden möchte ich meine Arbeit genauer erläutern.
Es handelt sich dabei um einen ausgesprochen vielfältigen und individuellen Prozess, welcher in seiner Struktur der Einzigartigkeit des Menschen Rechnung trägt und insofern mehr ist als eine Methode.
Inhaltlich geht es zunächst um die Aufdeckung der zwischenmenschlichen Beziehungsverflechtungen, sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart, welche zu emotionalen Spannungen führen und dadurch die Gedanken- und Handlungsfreiheit einschränken.
Dabei wird die innere, unbewusste Verpflichtung, dem Vorbild der Eltern zu folgen, deutlich.
Auch der Verstoß gegen elterliche Gebote, die „Untreue“ bezüglich des Vorbildes der Ahnen, das Verlassen des vorgezeichneten Weges überhaupt führt zu Angst, Trauer, Wut und Schmerz. Schon die Erkenntnis dieser einfachen Zusammenhänge bewirkt häufig eine regelrechte innere Revolution. Trotzdem führt sie nicht zwangsläufig zu einer Entscheidung für einen eigenen Weg. Das Erleben des individuellen geistigen Wesenskerns und damit der Möglichkeit der geistigen Freiheit ist unabdingbare Voraussetzung für das Entdecken der eigenen Entschlussmöglichkeit.
Durch den „SIT-Prozess“ ist es auf einzigartige Weise möglich, als sog. „Stellvertreter“ oder in der Aufstellung des eigenen Anliegens, die seelisch-geistigen Zusammenhänge lebendig wahrzunehmen. Dadurch können die Teilnehmer auch ihr Schicksal als zu ihnen gehörig erfahren und das Gefühl des Ausgeliefertseins überwinden.
Gerade die von schweren Krankheiten Betroffenen sind oft von Angst, Wut und Enttäuschung beherrscht und deshalb besonders darauf angewiesen, den Sinnzusammenhang ihres Lebens zu ergründen. Erst dann können sie aufhören gegen ihre Krankheit und gegen ihr Schicksal zu kämpfen und ihre Energie auf die aktive Gestaltung ihres Lebens richten.
Nur durch die Aktivierung der in jedem Menschen-Ich schlummernden Kräfte kann die Macht alter Denk-, Fühl- und Handlungsgewohnheiten überwunden werden. Diese Aktivierung ist das oberste Ziel des SIT- Prozesses. Die Herrschaft der dumpfen Gefühle führt zu einer Art von Sklaverei, die gegenwärtig sehr um sich gegriffen hat und gerade weil sie so unterschwellig abläuft, gefährliche Auswirkungen hat.
Die Ansicht, der Mensch sei ein höheres Tier eröffnet viele Manipulationsmöglichkeiten und wird sicher deshalb von rein materialistisch und kommerziell orientierten Kreisen so nachdrücklich vertreten. Für den einzelnen Menschen stellt diese von der modernen Naturwissenschaft propagierte Überzeugung den Verzicht auf ein selbst bestimmtes Leben dar. In der Konsequenz ist auch Liebe nur eine hormonelle Gaukelei, Wahrheit höchstens relativ (und damit nicht existent) und Freiheit eine Illusion von idealistischen Träumern.
In der praktischen Durchführung kommt dem höchst erstaunlichen und verwunderlichen Phänomen besondere Bedeutung zu, bei welchem die Stellvertreter ohne Informationen sehr präzise Aussagen über wesentliche Lebenszusammenhänge, Gefühle und Gedanken der von ihnen repräsentierten Personen machen können.
Der konkrete Prozess beginnt damit, dass der Teilnehmer eine möglichst genaue Beschreibung des Anliegens vorstellt. Dabei kann es sich um eine Frage oder einen Entscheidungsschritt handeln. Es wird eine gegenwärtige oder vergangene Beziehungssituation zwischen Mitgliedern eines zwischenmenschlichen Systems (Familie, Beruf, Freundschaft), der eigenen Wesensglieder (Körper, Seele, Ich), der verschiedenen Gefühle (Wut, Angst, Trauer, Schmerz, Freude) gewählt. Je mehr „Herzensenergie“ ein Anliegen hat, desto lebendiger und plastischer wird der Prozess.
Der äußere Rahmen wird gebildet von ca. 20- 25 Teilnehmern, die bereit sind, sich liebevoll miteinander und mit den auftauchenden Schicksalen zu beschäftigen.
Nachdem der Aufstellende nach seinem inneren Bild die Stellvertreter so im Raum angeordnet hat, wie sie miteinander in Beziehung standen (oder stehen), begibt er sich wieder in den Außenkreis und beobachtet das Geschehen.
Danach werden die Stellvertreter von mir nach ihren Körperempfindungen, ihren Gefühlen und Gedanken befragt. Nach einer ausführlichen Bestandsaufnahme wird der Aufstellende in der Situation mit der höchsten Energie auf seinen bisher vom Stellvertreter eingenommenen Platz gestellt und ebenfalls bezüglich seiner Empfindungen und Gefühle befragt.
Im letzten Schritt werden dem Aufstellenden verschiedene, sich aus dem Gesamtprozess entwickelnde, Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wichtig ist, dass der Betroffene dann die Entscheidungsfreiheit behält, ob er sich für eine der Lösungsmöglichkeiten entscheidet und ob er sie in seinem Alltag praktisch verwirklicht. Er wird keinesfalls zu irgendetwas genötigt oder überzeugt, sondern es bleibt sein eigener freier Entschluss.
Sowohl die bloße Teilnahme als auch mehrere Aufstellungen in unregelmäßiger Reihenfolge sind aus meiner Sicht eine unvergleichlich produktive und effiziente Möglichkeit, den Weg in ein eigenes, selbst bestimmtes Leben zu finden.
Das Verfahren wird oft als magisch-mystisches Allheilmittel gehandelt, von Skeptikern als neue „Psychoscharlatanerie“ und unverantwortliche Spinnerei verdammt oder schlicht belächelt.
Aus meiner Sicht handelt es sich um eine große Gnade und um ein Geschenk des Himmels, welches von allen Beteiligten nur in großer Verantwortlichkeit gehandhabt werden darf und keinesfalls eine bequeme Abkürzung zur Heilung ist. Durch ehrliche Erkenntnis werden Entscheidungsmöglichkeiten deutlich, welche in einem nächsten Schritt zu einem freien Entschluss führen können.
Heilung ist in diesem Zusammenhang nicht in erster Linie die Linderung von Symptomen, sondern das Stiften von innerer Ruhe und Frieden in der eigenen Seele und in den konkreten Beziehungen durch ein gestärktes, sich zur Autonomie entwickelndes Ich.
Ohne diese Form des Heilungsprozesses ist eine Besserung körperlicher Leiden entweder nicht möglich, oder, wenn sie rein durch „äußere“ (schulmedizinische) Maßnahmen erzwungen wurde, bleibt das innere Leiden, der seelische Unfrieden, erhalten.
Durch die geistige Selbsterkenntnis erfährt der Mensch die allgemeinen und individuellen Zusammenhänge zwischen Körper, Seele und Geist. Die Erkenntnis über die systemischen Verknüpfungen im Geistigen und Seelischen eröffnet neue Möglichkeiten, gewohnte negative Verhaltensmuster zu überwinden.
Der SIT-Prozess öffnet Türen und überlässt jedem die Entscheidung, hindurchzugehen und neue, ungewohnte Räume zu entdecken und zu erobern — oder sie wieder zu verschließen.
Dr. med. Alfred Schwarz